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Der Radler und seine Umwelt
Radtour-Erkenntnisse
von Jürgen Weber ©
Der Bodenbelag
An Bodenbelag bietet die öffentliche Hand dem gemeinen Radler eine große Vielfalt. Von
glattem Teerbelag, auf dem es flutscht und man so richtig schön Tempo machen kann, halten die
Straßenplaner offenbar nur wenig. Möglicherweise haben sie Angst davor, dass die Radler zu
schnell werden. Da muss Abhilfe geschaffen werden, wobei die Planer wohl den Begriff
„Bremsbelag“ etwas missverstanden haben; so mancher Untergrund vom groben Asphalt über
den holprigen alle paar Meter geflickten Straßenuntergrund bis über nostalgisches
Kopfsteinpflaster, möglichst mit einigen Schlaglöchern, erreichen zumindest die von den Radlern
ganz und gar nicht gewünschte Bremswirkung. Vor allem am Rhein haben sich die Planer
anscheinend auch bei ihren Kollegen aus der ehemaligen DDR sachkundig gemacht, die uneben
verlegten Betonplatten erinnern mich doch fatal an die berüchtigten Panzerplatten, wie ich sie
unvergesslich im Wald vor Prerow erleben durfte.
Der Inbegriff des gemütlichen Radfahrens ist in den Augen der Planer aber der offene Weg,
wahlweise mit Sand, Split oder Schotter aus dem Straßenbau bestreut, so dass es richtig schön
rutscht. Der Materialprüfung ersten Grades sowohl für Rad als auch für den Hintern des Fahrers
entsprechen die Wege, bei denen die Schottersteine die Größe von Tennisbällen erreichen, das
überstehen nur die Harten. Besonders beliebt bei den Gemeindevätern aber ist offensichtlich,
den kommunalen Reichtum, den es nach politischen Aussagen eigentlich gar nicht geben dürfte,
dadurch zu dokumentieren, dass man die beliebten und teuren roten Verbundsteine als Material
für die Radwege einsetzt. Das sieht schick aus, macht was her, nimmt dem Radfahrer aber
mindestens 5 km/h an Geschwindigkeit weg. Würden die Stadtväter doch nur einmal am eigenen
Körper die Auswirkungen der unterschiedlichen Radwegbeläge auf den Fahrkomfort
untersuchen, sie würden sofort ihre Entscheidungen überdenken.
Die Radtour als Freiluft-Assessmentcenter
Bei derart abwechslungsreichen Touren, wie ich sie gefahren habe, erlebt man die
unterschiedlichsten Situationen mit den verschiedenartigsten Herausforderungen. Bisweilen
komme ich mir vor wie in einem Freiluft-Assessmentcenter, bei dem die Prüfer hinter Büschen
versteckt beobachten, wie die Prüflinge die gestellten Aufgaben bewältigen und wie sie sich in
den herausfordernden Situationen verhalten. Und in der Tat, so manchesmal kommt es mir vor,
als ob Fahrradfahren nur ein andere Form der Lebensbewältigung ist. Hier ein paar Beispiele aus
diesem Assessmentcenter:
Prüfung 1:
Der Radler kommt an eine Baustelle. Ein Schild warnt „Durchfahrt für Fahrräder verboten“.
Eine Umleitung oder sonstige Hinweise gibt es nicht. Wie verhält sich der Prüfling in einer
solchen Situation? Fängt er an zu zetern und zu toben, weiß aber nicht, was er tun soll? Oder
biegt er schnellstens in einen Seitenweg ab, in der Hoffnung, dort schon eine Lösung seines
Problems zu finden? Kehrt er um und holt Hilfe oder setzt er sich gar frech über das Verbot
hinweg und fährt einfach weiter? Ich weiß nicht, was die Prüfer erwarten, aber aus dem
Verhalten angesichts dieser Situation ließen sich schon eine Menge Charaktereigenschaften
ablesen. Wie meinen obigen Beschreibungen zu entnehmen ist, habe ich mich der Aufgabe, vor
die ich mich mehrmals gestellt sah, auf unterschiedliche Weise entledigt, mal aufsässig, mal einsichtig, mal schimpfend, mal untertänig. Ich denke, ich habe mich daher als der ideale
Mitarbeiter empfohlen.
Prüfung 2:
Der Fahrradfahrer kommt an eine Kreuzung, die ein Laternenpfahl ziert, angetan mit
mehreren Radfahr-Wegweiser ohne Aufschrift, die lediglich besagen, dass man nach rechts, nach
links und geradeaus mit dem Fahrrad fahren kann. Wie verhält sich der Prüfling? Schaut er sich
zornig um, ob er irgendeinen Einheimischen zu fassen kriegt, dem er einmal gehörig die Meinung
über die bescheuerten Planer sagen kann? Holt er Kompass, Sextant und Landkarte heraus,
bestimmt seine Position und ermittelt den richtigen Weg? Fährt er aufs Geradewohl einen der
angezeigten Wege, in der Hoffnung, schon irgendwohin zu kommen, wo ihn wieder ein
Hinweisschild auf den rechten Weg bringen werde, oder wartet er einfach so lange, bis ein
informierter Artgenosse den Weg kreuzt, dem man sich anschließen kann?
Derartigen Prüfungen sah ich mich immer wieder ausgesetzt. Zu meinem großen Bedauern
kam jedoch niemals ein Prüfer hinter den Büschen hervor, um meine Leistung zu bewerten.
Schade eigentlich.
Die Ratgeber
Die manchmal eigenartige Streckenführung, Schlampigkeit in der Beschilderung, aber auch
(ich gebe es ja zu) eigenes Unvermögen und Trotteligkeit führen mich auf meinen Touren
mehrmals in Situationen, dass ich meiner Orientierungslosigkeit nur dadurch Abhilfe schaffen
kann, indem ich einheimische Mitmenschen um Rat frage. Dabei habe ich ausnahmslos
freundliche Menschen getroffen, die allesamt hilfsbereit, nicht in jedem Fall allerdings tatsächlich
eine Hilfe waren. So mancher schickt mich in die entgegen gesetzte Richtung meines Zieles,
andere kennen zu dem von mir als Ziel genannten Ort nur Autobahn und Bundesstraße als Weg.
Einmal bekomme ich die einfache Auskunft „immer geradeaus“, was mich allerdings auf die
Autobahn führt, ein anderes Mal erklärt mir eine Frau haarklein den Weg („die erste links, dann
wieder rechts, dann nach einer Biegung die zweite links und dann wieder rechts und hinter der
Tankstelle auf die andere Straßenseite und nach 200 Meter wieder links…“), dass ich nach der
ersten Kreuzung bereits wieder alles vergessen habe. In Koblenz sind sich zwei junge Frauen
uneins, welche Brücke mich denn tatsächlich über den Rhein führt und sie lassen mich nicht eher
fahren als bis sie bei einem im Garten arbeitenden älteren Mann fachkundigen Rat eingeholt
haben. Hinter Limburg hängt ein Rentner aus dem Fenster eines direkt an eine Baustelle
angrenzenden Hauses und weist Fahrradfahrer ohne viel Worte ein: „Hier geht’s lang“. An der
Lahn scheint man sich mit ratlosen Radtouristen auszukennen.
Alles in allem habe ich die (eigentlich selbstverständliche) Erfahrung gemacht: wenn man
freundlich fragt, bekommt man auch eine freundliche Antwort. Dass ein normaler, hauptsächlich
als Autofahrer sich bewegender Mensch nicht immer die Bedürfnisse und Wünsche von
Radfahrern nachvollziehen kann, muss man zur Kenntnis nehmen und kann man den Menschen
nicht zum Vorwurf machen.
Das Kräftemessen
Ein Fahrradfahrer ist auch kein besserer Mensch als ein Autofahrer, er legt ebenso häufig
Balz-, Konkurrenz- und Wettstreitverhalten an den Tag wie sein motorisiertes Pendant. Mit
einem Unterschied wohlgemerkt: er demonstriert seinen Mitmenschen nicht „schaut her, wie
viele PS ich mir leisten kann“, sondern er sagt „guckt mal, wie stark ich bin“, das ist schon ein
Unterschied. Nach dieser Vorrede ist es nur zu begreiflich, dass auch ich mich auf meinen
Touren hin und wieder an radelnden und anderen Zeitgenossen gemessen habe, im
unausgesprochenen Wettstreit, einfach so nur zum Spaß. Ein Wettrennen mit Sonntagsfahrern
oder dahin schleichenden ein-Tag-im-Jahr-Radlern verbietet sich von selbst. An diesen zieht man
cool in einem Affenzahn vorbei mit einem gelangweilten Gesichtsausdruck, so als sei das
angeschlagene Tempo mühelos zu erreichen und nicht der Rede wert. Interessanter sind da schon
die Radler, denen man das sportliche Training an Beinen und Outfit bereits ansieht. Einige von
dieser Sorte trifft man an einem Tag immer wieder und man überholt sich mit Schmunzeln
gegenseitig mehrmals. Dankbar erinnere ich mich auch an meine Attacke in Mannheim, als ich
locker zwei Rennradfahrer überholte oder auch an den im magentafarbenen Trikot des Team Tmobile gewandeten Radrenners, mit dem ich trotz Gepäck immerhin einige Kilometer mithalten
konnte. Auch das Duell mit einem Rheindampfer und einem Frachtschiff auf dem Elbe-
Seitenkanal habe ich locker für mich entschieden. Kurz vor Wetzlar hat mich dagegen ein
Rentner mit Hollandrad, gekleidet in kurzen Jeans mit Hosenträgern zum imaginären Zweikampf
gefordert. Er merkte, dass ich ihm folgte, und verschärfte das Tempo. Nach mehreren
Kilometern musste ich ihn entnervt und ernüchtert ziehen lassen. Wenn ich richtig informiert
bin, wohnt in der dortigen Gegend Didi Thurau, der wird wohl dort sein Unwesen treiben und
harmlose Radtouristen in die Verzweiflung treiben.
Die Grußordnung
Radfahrer sind freundliche Menschen, wahrscheinlich vor allem deswegen, weil sie die
derartige Fortbewegung in ihrer Freizeit zur Entspannung, zur sportlichen Betätigung oder
einfach aus Spaß gewählt haben. Also neigen sie auch dazu, ähnliche Artgenossen zu grüßen. Aus
grundsätzlichen Überlegungen aber und weil an den großen Radrouten zahllose Radfahrer
unterwegs sind, die man ja nun mal nicht alle grüßen kann, hat sich zumindest bei mir eine Art
Grußregelung etabliert. Die sieht folgendermaßen aus:
Grundsätzlich nicht gegrüßt werden Einheimische, die mal eben nur so zum Bäcker fahren
oder zum Zigarettenautomaten, das versteht sich von selbst. Aus Statusgründen werden aber
auch solche Radfahrer von der Gunst des Gegrüßtwerdens ausgeschlossen, die sich in ihrem
gesamten Äußeren als zu der Gruppe zugehörig zu erkennen geben, die 20 km als
Tageshöchstpensum schon unter der Rubrik sportliche Höchstleistungen abbuchen. Häufig sind
derartige Menschen daran zu erkennen, dass sie mit sauberen, ladenfrischen und
modeorientierten Fahrradbekleidung angetan sind und auf mehrfachgefederten, sauber
glänzenden Fahrrädern sitzen. Wer in Tempo und Fahrweise den Eindruck erweckt, er setze sich
nur an den ganz wenigen Tagen im Jahr auf das Fahrrad, an denen die äußeren Bedingungen
akkurat mit den eigenen Wünschen übereinstimmen, muss ebenfalls auf meinen Gruß verzichten.
Gegrüßt werden dagegen sportliche Vertreter der Zunft, deren Gepäck und Gesichtsausdruck
verraten, dass sie sich eine Menge vorgenommen haben. Sind diese Radler noch in Radhose und
speziellem Radhemd gewandet und haben gar einen Helm auf, dann gibt es an der rechtmäßigen
Begrüßbarkeit gar keinen Zweifel mehr. Mit anderen Worten: ich würde mich grüßen. Aus
Gewohnheit grüße ich auch grundsätzlich Rennradfahrer, frage mich dann aber erschrocken, ob
die überhaupt von mir gegrüßt werden wollen, da ich mit bepacktem Tourenrad doch zu einer
anderen Kategorie zu zählen bin. Ein Umstand setzt freilich alle vorgenannten Regelungen außer
Kraft: wer mich grüßt, den grüße ich zurück, ohne Ansehen der Person.
So bin ich.
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